Pommersche Gräber in Ratzeburg

Von einer Dame, die kürzlich nach Ratzeburg umgezogen ist, eine Liste mit auf dem St. Petri-Friedhof in Ratzeburg beigesetzten Pommern.

Sie erkundet nun ihre neue Heimat und hat dabei auch ein paar Friedhöfe in Ratzeburg besucht. Ihr fiel auf, dass nach dem Ende des 2. Weltkriegs offenkundig sehr viele Flüchtlinge aus dem Osten angekommen und etliche hier dann meist bald nach ihrer Ankunft in Ratzeburg verstorben waren. 

Bei einem Besuch im Stadtarchiv Ratzeburg fand sie mit Hilfe des Stadtarchivars heraus, dass dort Aufzeichnungen der aus den Ostgebieten Geflüchteten existieren, aus denen sie folgende Namen von Pommern extrahiert hat. 

Die Orte waren für die Dame, die ansonsten nichts mit Familienforschung zutun hat, nicht immer einfach Pommern zuzuordnen, weshalb die Liste möglicherweise unvollständig sein kann oder auch Fehler dabei sein könnten. 

Wir bedanken uns herzlich für diese nachahmenswerte Arbeit!

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Eliza Jocelyn Park bei Megow

Vor einigen Tagen hatten wir in den sozialen Medien den Hinweis auf das Blatt Pyritz einer Karte des Deutschen Reiches 1880 gepostet (https://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=https://digitale-sammlungen.gwlb.de/content/10069019X/10069019X.xml)

mit einem Kartenausschnitt, der die Stadt Pyritz und Umgebung zeigte.

Kartenausschnitt Pyritz 1880

Wir fragten, wer etwas über den eingezeichneten Eliza Jocelyn Park wisse? (mehr …)

Gift in Klötzin

Klötzin, 24. Juli 1887

In der Kirche von Klötzin drängen sich die Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes und des angrenzenden Ritterguts Dolgenow. Die schönste Fachwerkkirche des Kreises Schivelbein soll sie sein, in jedem Fall ist sie aber die zweitälteste. Seit 1588 kommen hier die Gläubigen zusammen.

Die Kirche in Klötzin, mit bestem Dank an Dieter Schimmelpfennig

Jetzt mitten in der Erntezeit ist der Sonntagsgottesdienst für viele eine willkommene Abwechslung von der anstrengenden Feldarbeit. Die Predigt ist beendet und das Abendmahl hat begonnen. Der Pfarrer gießt den Wein in den Abendmahlskelch, eine Person nach der anderen trinkt davon. Der Wein schmeckt sonderbar, das fällt dem einen oder der anderen auf. Aber das Abendmahl ist ein Sakrament, heilig, das Blut Christi gereicht vom Pfarrer, da traut sich niemand, die Flüssigkeit im Kelch in Frage zu stellen.

25 Personen haben getrunken, als die erste Frau nach draußen eilt und sich übergeben muss. Auch den anderen wird schlecht, Entsetzen breitet sich aus, die Menschen rufen „Wir sind alle vergiftet!“. 12 Kilometer sind es bis Schivelbein, bis zum nächsten Arzt. Der Schivelbeiner Kreisphysikus Dr. August Mau persönlich eilt nach Klötzin. Bald kann er Entwarnung geben – es wird zwar etwas dauern, doch alle Kranken werden es überstehen. Fast ein kleines Wunder, denn im Kelch befand sich neben Wein auch „Eau des Javelle“ – Fleckenwasser.

Anzeigen für Fleckenwasser

Was war nur passiert? Wie war die giftige Substanz in den Kelch gelangt? Ein gemeines Attentat oder gar ein Werk des Teufels? Schon wenige Tage später ist der Fall gelöst – dem Wirtschaftsfräulein des Pfarrers war ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, ganz ohne böse Absicht. Neben einer vollen Flasche Wein hatte sie dem Pfarrer auch eine angebrochene mitgegeben – in der eben jenes Fleckenwasser aufbewahrt wurde. Glück im Unglück für alle – nicht nur war der Abendmahlskelch zu mehr als der Hälfte mit echtem Wein gefüllt worden, auch bestand das Eau de Javelle zum größten Teil aus Pottasche und nur sehr wenig Chlor. Was aus dem unglücklichen Wirtschaftsfräulein wurde, ist nicht bekannt. Hingegen schaffte es der „bedauernswerte Unfall“ von Klötzin in Zeitungen im gesamten deutschen Reich. 

Stuttgarter Neues Tagblatt 30.07.1887
Erzgebirgischer Volksfreund 11.08.1887

Pfingsten in Pommern

Pfingsten steht vor der Tür. „Eigentlich ist es schade, dass – anders als zu Weihnachten oder Ostern – mit dem Pfingstfest wenig Geschichten und Bräuche verbunden sind“, bedauert der Vorsitzende des Pommernkonvents, Pastor Dr. Christoph Ehricht. Vielleicht finden wir ja doch einige.

Viele Bräuche hängen mit der zeitlichen Lage von Pfingsten im Frühjahr zusammen – die Dekoration mit frischem Grün drängt sich zu dieser Jahreszeit auf. 

„Vater hatte die „Pfingstmaien“ schlagen lassen, denn das “liebliche“ Fest stand vor der Tür“, erinnerte sich Liselotte Schwiers über ihre Kindheit auf einem Gut in Zietlow im Kreis Belgard. Mit diese jungen Birkenbäumchen wurde dann das ganze Dorf dekoriert. “Jeder Hausvater aus dem Dorf nahm sich sein Maibäumchen mit, und sogar vor jede Stalltür wurde eins gestellt. Der Hofmeister sorgte dafür, dass jeder Baum in einem Eimer mit Wasser stand. So blieben die Blätter frisch und glänzend, bis das Fest vorüber war.“ (Liselotte Schwiers, Das Paradies liegt in Pommern, S. 71).

 

Pfingstbaumpflanzen, aus: “Die Gartenlaube” 1886

Die Blätter für Pommersche Volkskunde berichten, dass besonders zu Pfingsten die Windmühlenflügel mit „Maibüschen“ (Birkenzweigen) dekoriert wurden. Im östlichen Hinterpommern wurde das Weidevieh von den Hütejungen mit Blumen und Birkengrün geschmückt (Atlas der Pommerschen Volkskunde).

In Zarnglaff im Kreis Cammin wurden verdiente Bauern mit einem Pfingstbaum überrascht. Klammheimlich brachten junge Burschen in der Nacht eine geschmückte Kiefer ins Dorf und stellten sie vor den ausgewählten Bauernhäusern auf. Am nächsten Abend fand dann ein großes Fest rund um den Überraschungsbaum statt (Wilhelm Bastelt, Geschichte des Dorfes Zarnglaff im Kreise Kammin in Pommern).

In Klein Nossin im Kreis Stolp war das Pferdewaschen zu Pfingsten ein festliches Ereignis. „Die Häuser waren mit Birkengrün und Kalmus üppig geschmückt, wenn die Pferde zum Wasser der Schottow geführt wurden.“, erinnert sich Heiko Kebschull (Von Hinterpommern nach irgendwo…)

Über den „Tauschlepper“ oder auch Maikönig, der es am Pfingstmorgen schaffte, sein Vieh als erster auf die Weide zu führen, berichtete David Krüger in einem eigenen Beitrag. Beim abendlichen Fest musste der Pfingstlangschläfer, dessen Vieh als letztes auf der Weide angekommen war, den Tauschlepper bedienen. Pfingstkarr nannte man die Schlafmütze in Vor-, Pfingstlümmel in Hinterpommern.

Das „Tonnenabschlagen“, ein Wettkampf zu Pferde, bei dem auf ein aufgehängtes Heringsfass eingeschlagen wird, erfreut sich heute noch auf Fischland-Darß großer Beliebtheit. Ursprünglich ein Pfingstbrauch wurde es später in den Sommer verschoben – vielleicht auch wegen der Touristen, die das Spektakel heute noch anzieht.

Bräuche zum Pfingstritt sind aus Heinrichsdorf, Kreis Neustettin, und Wangerin, Kreis Regenwalde überliefert. In Wangerin trugen die Pfingstreiter Hüte mit bunten Bändern, ihren Vorreiter nannte man Dogschläper (Paul Klein, Volkslied und Volkstanz in Pommern, S. 133).

Eine besondere Pfingstspeise wurde in Bütow zubereitet. Für “Pischk” wurde Gerste in einem Mörser zerstoßen, mit heißem Wasser übergossen und mit hölzernen Hämmern bearbeitet, bis jedes Korn von seiner Hülle befreit war. Das Ganze wurde dann dick eingekocht und mit oder ohne Milch verzehrt, berichtet Hugo Krause auf der Facebookseite des Vereins Kolberger Lande.

In Mittelpommern in der Gegend um Stettin war das Abwerfen der Pfingsttaube üblich. „Wir Kinder mussten eine Pfingsttaube abwerfen. Dies war ein bemalter Holzvogel, bestehend aus Rumpf, Kopf, Zepter und Flügel. Befestigt war er auf einer hohen Stange und musste nach und nach heruntergeworfen werden.“ berichtet Günter Voigt aus Dischenhagen, Kreis Cammin.

Stettiner Abendpost: Stettiner neueste Nachrichten/Ostsee-Zeitung 15.05.1929

Im Pfingstgottesdienst ließ man eine weiße Taube durch die Kirche fliegen, sinnbildlich sollte damit die Ausgießung des Heiligen Geistes dargestellt werden. Womit der Kreis zu Pastor Ehricht vielleicht wieder geschlossen ist. Ein paar schöne Bräuche gab es also doch in Pommern.

„Pfingsten war ein frohes Fest, weil es den langen, schönen Sommer eröffnete, der meist weit bis in den Oktober hinein warm und trocken blieb.“, fasst Liselotte Schwiers ihre Erinnerungen an das Pfingstfest zusammen. In diesem Sinne wünsche ich euch frohe und sonnige Pfingsttage! 

Die Walpurgisnacht in Pommern

Heute Nacht ist es wieder soweit – die Hexen machen sich auf, um sich am Blocksberg zu versammeln. Obacht in der Nacht des 30. April – in der Mainacht besitzen sie ganz besondere Mächte!

In der Walpurgisnacht, auch Volbrechtsabend, Wolpersabend, Wolborgen oder schlicht Mainacht, gingen auch in Pommern schaurige Dinge vor.

Aus Grimmen, zwischen Stralsund und Greifswald gelegen, ist die gruselige Geschichte vom Mäusewagen überliefert. In der Walpurgisnacht fährt mit viel Gerassel ein Wagen durch alle Straßen, massiv und schwer, so dass alle Fensterscheiben klirren. Eine schwarze Kutsche, vor die vier schwarze Mäuse gespannt sind. Auf dem Bock sitzt ein Kutscher, der einen großen Hut trägt und einen Hühnerfuß hat. Wer in der Kutsche sitzt, weiß man nicht… (Aus: Jodocus Donatus Hubertus Temme „Die Volkssagen von Pommern und Rügen“, 1840)

In Beiershöhe, Kreis Greifenhagen ging der Abflug gen Blocksberg für eine junge Hexe gründlich schief: sie versprach sich beim Zauberspruch und knallte gegen eine Strebe am Herd, wurde dann im Raum hin- und hergeschleudert bis die anderen Hexen zurück waren. Danach soll sie die Lust an nächtlichen Ausflügen verloren haben… (Aus: Ulrich Jahn „Volkssagen aus Pommern“, 1889)

Die Hexen mussten nicht bis in den Harz fliegen, um sich zu treffen. Blocksberge gab es in vielen pommerschen Orten. Zwischen Cammin und Sollin lag ein kleiner Sandhügel, Blocksberg genannt, auf dem, wie überhaupt auf allen Blocksbergen, die Hexen der Gegend in der Walpurgisnacht ihre Versammlungen abzuhalten pflegten. Das Reitgerät der Hexen war meist der klassische Besen, aber auch von Backgeräten, Ruten oder schwarzen Säuen wurde berichtet…. (Aus: Karl Heinz Hanschke “Pommersche Sagengestalten“, 1936)

Ein Mann, der seinen Ziegenbock dort vergessen hatte, lief zum Camminer Blocksberg, vergaß sich zu bekreuzigen und wurde von den Hexen nicht mehr fortgelassen. Mangels eigenen Besens sah man ihn künftig in der Walpurgisnacht auf seinem Ziegenbock hinter den Hexen herreiten… (Aus: Ulrich Jahn „Volkssagen aus Pommern und Rügen“, 1889)

Daher sollte man sich wappnen, in der Mainacht, und an alle Stalltüren drei schwarze Kreuze malen. Sonst kehren die Hexen, wenn sie vom Blocksberg kommen, in den Ställen ein und tun dem Vieh Schaden an; besonders gern nehmen sie den Kühen die Milch und Butter fort… (Aus: Otto Koop, “Aberglauben, Gebräuche und Märchen aus dem östlichen Hinterpommern“, 1885)

Wer sich heute Abend gruseln möchte, dem sei Ulrich Jahns “Hexenwesen und Zauberei in Pommern” als Gute-Nacht-Lektüre empfohlen. Allen anderen wünsche ich eine fröhliche Mainacht und morgen einen schönen Feiertag!

Der Opa ging als letzter – zum Tod von Wichart von Roëll

Am 16. April 2024 ist Wichart von Roëll gestorben. Heute wäre er 87 Jahre alt geworden. Bunt, anarchisch und frivol belebte „Klimbim“ den Fernsehalltag der siebziger Jahre. Damals gerade mal Mitte 30 spielte Wichart von Roëll den militaristischen Opa, der alle anderen Mitglieder der Klimbim-Familie überleben sollte.

Wichart von Roëll wurde am 20. April 1937 in Schwochow im Landkreis Pyritz in Hinterpommern als jüngstes von vier Kindern geboren. Seine Mutter starb nur sechs Tage nach seiner Geburt. Die Familie gehörte dem ursprünglich aus Westfalen stammenden Adelsgeschlecht Roëll an – e mit Trema. Sie lebten aber bereits seit Jahrzehnten in Pommern. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wuchs Wichart von Roëll bei seiner Großmutter in Kolberg auf.

Die männlichen Vorfahren von Wichart waren Berufssoldaten, über Generationen hatten sie in pommerschen Regimentern gedient. Dass ausgerechnet er als überdrehter Veteran, mit Monokel und im ordendekorierten Bademantel, berühmt wurde, hat ihm der Vater erst spät verziehen. “Mein Vater war Berufsoffizier im 2. Weltkrieg. Er fand, dass der Beruf des Soldaten durch die Rolle verunglimpft wurde“, sagte Wichart von Roëll 2019 in einem Interview. Dabei war es gerade der Vater, der dem späteren Schauspieler das nötige Rüstzeug vermittelte. Er nahm den Junior nach dem Krieg öfter zu Kameradschaftsabenden mit, „da wurde dann wirklich so gesprochen. Ich habe nur nachgemacht, was ich selber erlebt habe“, berichtete Wichart von Roëll 2014

1945 musste die Familie Kolberg verlassen. Ein Fluchtschicksal wie viele, „nach der Flucht hatten wir nichts“, erinnerte sich Wichart von Roëll 2011. Er ging in München zur Schule, beschloss, Seemann zu werden und bereiste sechs Jahre lang die Weltmeere. Dann zog es ihn zum Film, erst als Beleuchter, nach einer Schauspielausbildung auch vor die Kamera. Und dann kam Klimbim. Trotz vieler Rollen danach wird Wichart von Roëll wohl immer als der motzende Opa in Erinnerung bleiben, über den wir uns alle so sehr amüsiert haben.

Paul Dahlke, ein Mann aus Pommern

2024 ist nicht nur das Jubiläumsjahr eines großen vorpommerschen Malers, sondern auch für einen ganz anderen Künstler aus Hinterpommern das Jahr eines runden Geburts- und Sterbetags – der Schauspieler Paul Dahlke wäre in diesem Jahr 120 Jahre alt geworden, er starb vor 40 Jahren. Grund genug, der Anregung eines Mitglieds des Pommerschen Greif zu folgen und an den berühmten Schauspieler zu erinnern.

„In Streitz an der Ostsee bin ich geboren. Streitz ist ein Dorf, nein ein Ort, na, sagen wir ein Fleckchen. In Streitz gibt es ein Gutshaus, eine Schule, ein paar Häuser „rundherum“ und schließlich ein weinumranktes Lehrerhaus. Dieses Lehrerhaus war mein Vaterhaus.“, schrieb Paul Dahlke in seinen biographischen Notizen.

Paul Dahlke stammte aus einer Lehrerfamilie. Vater Ernst wurde in Grünewald/Kreis Neustettin geboren, er war Lehrer für Turnen und Gesang und setzte mit seiner Berufswahl die Familientradition fort. Der wahrscheinlich erste Lehrer in Grünewald, Johann Gottlieb Dahlke, zugleich Schneider, kam 1732 in den kleinen Ort ca. 50 km südöstlich von Köslin. Auch Paul Dahlkes Mutter Anna Schmidt kam aus Grünewald, auch sie war Tochter eines Lehrers. Bis 1945 würden Mitglieder der Familie Dahlke in Grünewald leben und die Kinder des Dorfes unterrichten.

Schloss Grünewald, mit bestem Dank an Familie Moarefi

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Kommissar Greif

Dass es in Soltau viel zu lernen gab über unsere Ahnenforschung, davon war ich ausgegangen. Aber dass am späteren Abend beim zweiten Bier in der Hotelbar die Klärung eines mehr als hundert Jahre alten Mordfalls ihren Ausgang nehmen würde, damit hatten weder der Urenkel des Mordopfers noch ich gerechnet.

„Jetzt noch eine kleine Räuberpistole“, begann Burkhard die Erzählung über den tragischen Tod seines Urgroßvaters. Der Maschinist Julius Schmidt wurde am 8. Juli 1862 in Groß Stepenitz im Kreis Kammin geboren. Am 27. Februar 1892 heiratete er Helene Koplin aus Pölitz, südlich des Stettiner Haffs, wo die Familie dann auch lebte. 1896 wurde Julius Schmidt nach Schwedt an der Oder versetzt.

Eine passable Wohnung zu finden war schon Ende des 19. Jahrhunderts ein nicht zu unterschätzendes Problem und die Bleibe, die man ihm zuteilte, beherbergte bereits einige Untermieter – Ratten. Die mussten raus und Julius machte sich auf, Gift gegen die Nager zu organisieren. In der Familie war überliefert, dass Julius Schmidt eine Apotheke betrat, Rattengift orderte, der Apotheker aber stattdessen die Pistole zog und mit den Worten „So gehen wir hier mit Ratten um.“ vor den Augen der entsetzten Gattin Helene, die zudem schwanger war, auf den armen Julius schoss. Der soll das Attentat zwar einige Monate überlebt haben, sei aber später an den Folgen der Schussverletzung gestorben.

Julius Schmidt, Quelle: Familie Schmidt

Gespannt und kopfschüttelnd hörten wir uns die Erzählung von Burkhard an. Was war nur in den Apotheker gefahren? War der Mord aufgeklärt worden oder war der Täter geflüchtet? Die arme Familie, so ein sinnloser Tod. Vieles hatte der Urenkel bereits unternommen, die Ereignisse zu verifizieren, aber das Attentat auf Julius schien keinen Weg in die Archive gefunden zu haben.

Am noch späteren Abend und mittlerweile im Hotelzimmer ließ mich die Schießerei immer noch nicht los. Und ich dachte mir – wenn mich mehr als hundert Jahre später das Schicksal von Julius umtrieb, wie mag das dann den Menschen Ende des 19. Jahrhunderts gegangen sein? Mord und Totschlag, das erfreut sich heute als True Crime in Fernsehen und Podcasts großen Erfolgs. Die Medien, mittels derer sich die Menschen damals im Deutschen Reich einen Schauer über den Rücken laufen ließen, waren die Zeitungen. Schon wesentlich unspektakulärere Geschichten hatte ich in entsprechenden Portalen gefunden, da könnte es dieser Mord doch auch in die Gazetten geschafft haben.

Schwedt und Rattengift waren die Begriffe, die ich in das Suchfeld des Deutschen Zeitschriftenportals eingab und tatsächlich – da war sie, die Geschichte von Julius und dem hinterlistigen Rattengiftverkäufer. Nicht nur in einer Zeitung, sondern gleich in mehreren, von Sachsen bis ins Rheinland. Kein Apotheker, sondern Drogist, nicht 1895, wie in Burkhards Familie überliefert, sondern Ende April 1896, aber ansonsten stimmte die Geschichte. Der Täter war der Drogist Kreit gewesen.

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